Kurzinfo:

Veröffentlichung
November 2016
Berlin
grauwert.info

Eine Museumsbesuchern setzt sich einen Helm aus einer Ausstellung auf den Kopf

Weitersehen 2017

Zugängliche Kultur erleben

Das diesjährige Jahrbuch des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands e. V. (DBSV)  beschäftigt sich mit dem Thema „Kultur“. Unter dem Titel „Weitersehen 2017: Kultur erleben – wenn Inklusion im Kopf beginnt“ wird gezeigt, welche vielfältigen Möglichkeiten bestehen, um auch blinden oder sehbehinderten Menschen Zugang zu ermöglichen.

Im folgenden Beitrag „Kultur mit allen Sinnen in der Berlinischen Galerie“ schildern die Referentin für Marketing und Kommunikation der Berlinischen Galerie, Diana Brinkmeyer, und der Sozialreferent des DBSV, Reiner Delgado die Zusammenarbeit im gleichnamigen Projekt.

Das Jahrbuch ist direkt beim Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg e.V. (BSVH) erhältlich (Einzelpreis von 3,00 Euro) und kann direkt bei der Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Melanie Wölwer bestellt werden (Tel. 040-209 404-29 / E-Mail m.woelwer@bsvh.org).

„Kultur mit allen Sinnen in der Berlinischen Galerie“

Im Frühjahr 2015 starteten der DBSV und die Berlinische Galerie „Kultur mit allen Sinnen“, ein Projekt für mehr Zugänglichkeit in Museen. Das Ziel ist, im Herbst 2017 eine Ausstellung zu eröffnen, die auch für Menschen mit Seheinschränkung möglichst gut nutzbar ist. Diana Brinkmeyer und Reiner Delgado plaudern aus der Projektarbeit:

Reiner Delgado: Immer mehr Museen möchten ihre Ausstellungen für Menschen mit Behinderungen besser zugänglich machen. Das finden wir toll und wünschen uns, dass entsprechende Maßnahmen gut genutzt werden können und sich Besucher mit Sehbehinderung ins Museum eingeladen fühlen. Die Berlinische Galerie ist für unser Projekt ein guter Partner, weil sie schon vorher im Bereich der Barrierefreiheit aktiv war.

Diana Brinkmeyer: Als der DBSV auf uns zukam, waren wir sofort begeistert. Barrierefreiheit ist der Berlinischen Galerie ein großes Anliegen. Wir verstehen uns als ein Museum für alle: egal ob männlich oder weiblich, egal welcher kulturelle oder soziale Hintergrund, ob mit Behinderung oder ohne. Das Recht, Kunst zu erleben gilt für alle!

Erste Erfahrungen haben wir mit der großen Sonderausstellung 2013 „Wien-Berlin. Kunst zweier Metropolen“ gemacht. Tastmodelle, Bodenleitsystem, Audiodeskriptionen – all dies war neu für uns, und wir sind mit Neugier und Begeisterung in diesen Lernprozess eingestiegen. So sind wir 2015 gerne die Kooperation mit dem DBSV eingegangen. Sie ermöglicht uns, unsere Dauerausstellung barrierefrei zu gestalten und somit langfristig Zugaänge zur Kunst zu schaffen.

Reiner Delgado: Als kulturinteressierte Museumsbesucher dachten wir, es kann kein großes Problem sein, Leitlinien in Museumsräume zu kleben, Skulpturen zum Anfassen freizugeben und Tastreliefs neben Gemälde zu stellen.

Diana Brinkmeyer: Ja, und über Manches müssen wir dann doch intensiv diskutieren. Werke zu erhalten und angemessen auszustellen, ist nicht unkompliziert. Die Berlinische Galerie hat die Verantwortung, Kunstwerke für künftige Generationen zu erhalten. Unsere Restauratoren müssen sicherstellen, dass empfindliche Oberflächen geschützt werden, Tasten am Original kann da selbst mit Handschuhen schwierig sein. Fotografien oder Zeichnungen müssen sogar alle 3 bis 4 Monate ausgetauscht werden, damit sie nicht durch zu viel Licht Schaden nehmen. Wie macht man Werke zugänglich, die so oft wechseln?
Unsere Kuratoren richten die Sammlungspräsentation ein, entscheiden, welches Bild wo hängt, auf welcher Wandfarbe und in welchem Licht es am besten wirkt und vieles mehr. Ein Tastmodell direkt neben dem originalen Kunstwerk lenkt eventuell von der Wahrnehmung des Originals ab. Zudem ist jedes Kunstwerk ein Unikat und ein Tastmodell dazu ist immer eine ganz individuelle Umsetzung. Dies sind einige viel diskutierte Fragen, für die wir übertragbare Lösungen suchen.

Reiner Delgado: Für das Projekt haben wir eine Gruppe blinder und sehbehinderter Menschen zusammengestellt und Teams zu den drei Hauptbereichen Audioguide, Tastmedien und Leitsystem gebildet. Alle setzen sich eingehend mit den Kunstwerken, den Künstlern und ihrer Zeit auseinander und damit, wie ein Museum mit künstlerischem Erbe umgeht.
Ein Beispiel: Ein konstruktiver Torso von Naum Gabo ist aus rund 100 Jahre alten Pappelementen zusammengesetzt und damit sehr filigran und nicht zum Anfassen. Das Modell zeigt gut, was Konstruktivismus ist, kann aber in Worten nicht gut erklärt
werden. Eine 1:1 Tastkopie direkt neben das Original zu stellen, ist auch nicht ideal – welches Exemplar wird von den Besuchern als das echte Kunstwerk erkannt? Es gibt jedoch ein Modell eines vergleichbaren konstruktiven Kopfes. Daran kann man ertasten, wie der Künstler gearbeitet hat. Interessant ist aber, dass visuelle Effekte des Modells von blinden Menschen beim Betasten gar nicht wirklich nachvollziehbar sind. Diese Auseinandersetzung macht großen Spaß und solche Gelegenheiten, sich mit Kunst zu beschäftigen, sollten mehr Menschen haben.

Diana Brinkmeyer: Der Kontakt mit blinden und sehbehinderten Kunstinteressierten verändert auch die Sicht der Experten im Museum. Unser gemeinsamer Lernprozess bietet Gelegenheit, im Gespräch mit Besuchern und Fachleuten für ganz andere Gebiete über Kunst zu diskutieren. Wie kann ein sinnliches Kunsterlebnis ohne oder mit eingeschränktem Sehsinn entstehen? Oft haben sich aus unseren Diskussionen Ideen ergeben, mit denen neue sinnliche Zugänge auch für andere Besucher geschaffen wurden. So werden bei manchen Schüler-Workshops nun Tastmodelle mit verbundenen Augen ertastet, um Kunst über einen anderen Sinn als das Sehen wahrzunehmen. Wir finden es besonders spannend, zu entdecken, wie sich das Museum verändert, wenn man sich über Barrierefreiheit Gedanken macht.

Diana Brinkmeyer und Reiner Delgado: Das Projekt ist ein spannender Weg, hin zu mehr Zugänglichkeit. Es gibt auch Spannungsfelder, zwischen den Anforderungen an Barrierefreiheit und Prinzipien der Ausstellungsgestaltung und nicht zuletzt zwischen Wünschen und finanziellen Möglichkeiten. Auch wenn wir noch nicht wissen, wie weit der Weg genau führt, ist schon jetzt klar, es lohnt sich für alle, unterwegs zu sein.

 

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